Urs Kessler hat seinen Plattenspieler mitgebracht. Und Platten natürlich. Queen, Bowie, das Greenpeace-Doppelalbum Rainbow Warriors von 1989 mit Acts wie U2, den Eurythmics, R.E.M., den Waterboys, Belinda Carlisle. Nicht unbedingt das, was man von einem 25-Jährigen erwarten würde. Die australischen Wolfmother schon eher, doch selbst diese aktuellere Band klingt nach kantigem Siebzigerjahrerock. Kein Zufall wohl, dass unter Kesslers schwarzer Lederjacke ein T-Shirt mit der Aufschrift „Hard Rock Cafe Atlanta“ zum Vorschein kommt. Es entspinnt sich ein Gespräch über Musik. Darüber, wie einflussreich Bob Dylan war, der „beste Sänger ohne Stimme“, oder über die tatsächliche Ausnahmequalität einer Künstlerin wie Beyoncé – abseits aller Allüren.
Auch am Gelsenkirchener Stadtteil Rotthausen geht die große weite Welt der Musik nicht vorbei. Das wird deutlich in Urs Kesslers Videoreihe „Platten-Teller“, die er unter dem Dach der Neighboring Satellites in den Räumlichkeiten des Küchenstudios am Ernst-Käsemann-Platz gedreht hat. Fünf Folgen gibt es, die letzte ging Ende Juli in einem eigens eingerichteten Youtube-Kanal online. Fünf Personen aus Rotthausen, dem Umfeld des Stadtteils oder mit Bezug dazu öffneten zu diesem Zweck nicht nur ihren Plattenschrank, sondern in erstaunlicher Bereitwilligkeit auch tiefere Schichten ihrer Gefühlswelt. Hintergedanke des „Platten-Tellers“ war neben dem Wortspiel, das den Ausdruck lose mit der Lokalität des Küchenstudios in Verbindung bringt, mit den Menschen von hier über ihre Musik und vor allem die Geschichten, die sie dazu zu erzählen haben, in den Austausch zu kommen. Vor diesem Hintergrund riefen Kessler und die Satellites dazu auf, die eigene Lieblingsschallplatte mit ins Küchenstudio am Käsemann-Platz zu bringen. Und um das Ganze nicht zu einer einmaligen, bald wieder vergessenen Sache zu machen, filmte Kessler die Begegnungen und produzierte kurze Videos daraus, die nun im Netz abgerufen und angeschaut werden können. (https://www.youtube.com/channel/UCIBCQ25YqkfT-qzRM70rF5A)
Wenn es persönlich wird …
Wir sitzen zwischen wuchtigen Holzküchenschränken mit Blümchenservicen hinter gläsernen Schranktüren. Das Küchenstudio hat erneut sein Aussehen verändert. Staffelei und Gemälde sind verschwunden, dafür stehen die geliehenen Ausstellungsstücke des Gelsenkirchener Barock im Raum verteilt, geben diesem die Anmutung einer Küche oder eines Wohnzimmers im Stil der Fünfziger. Den Eindruck verstärken ein verblichenes Sofa, zwei Polstersessel, ein Röhrenradio, ein alter, ausziehbarer Küchentisch, teils altmodisch gepolsterte Küchenstühle, teils spartanischere mit hölzerner Sitzfläche. Nur die Schwarz-Weiß-Fotos mit modernen Gelsenkirchener Ansichten der Fotografin Bettina Steinacker an den Wänden sowie die im Vergleich futuristisch anmutenden Farblichtstrahler, die einen altrosafarbenen Schimmer auf alles legen, relativieren das Ganze. Bilden aber auch geschickt arrangierte Kontrapunkte.
Urs Kessler spricht bedächtig, überlegt. Wie er locker und leger dasitzt in Jeans und T-Shirt, sieht man ihm nicht an, dass er Filme macht, traut es ihm auf den ersten, vorurteilsbehafteten Blick gar nicht zu. Bei Filmemachern erscheint gerne schnell das Klischee des gestandenen älteren Herren vor dem inneren Auge. Hinzu kommt, dass der hochgewachsene junge Mann mit den kurzen dunklen Haaren und dem einnehmenden, aufgeschlossenen Wesen gleich um die Ecke wohnt – „auf der Karl-Meyer-Straße“. Ein Rotthauser Eigengewächs. Filmregie studiert hat er an der Ruhrakademie Schwerte und erlangte regionalen Bekanntheitsgrad er durch seinen Kurzfilm Rotthausen 1945. Den drehte er im Alter von nur zwanzig Jahren für sein Vordiplom, stellte darin einen Bombenangriff auf den Stadtteil am Ende des Zweiten Weltkriegs nach, bei dem eine Hochzeitsgesellschaft betroffen war und die beste Freundin seiner Tante ums Leben kam. Mehr dazu erzählt er in der zweiten Podcast-Ausgabe der Satellites von Mitte April.
Wenn es persönlich wird, wenn die Menschen sich wirklich öffnen und etwas aus ihrem Leben teilen, dann wird das auch von anderen sehr gerne angenommen.
War es leicht, an die „Platten-Teller“-Gäste heranzukommen? War es ihnen unangenehm, dass sie gefilmt wurden? „Ich musste teilweise schon ein bisschen überreden“, gesteht er. „Und ich hatte einen, der nachher gar nicht drin war.“ Kessler verdeutlicht, dass es wichtig ist, Vertrauen aufzubauen, sich die Leute nicht bloßgestellt fühlen. Das Tolle aus seiner Sicht sei aber gewesen, dass die, die mitmachten, sehr persönliche Geschichten teilten. Ob Erinnerungen an die Mutter, eine spezielle Freundschaft oder auch an die Jugend und die Familie. „Wenn es persönlich wird, wenn die Menschen sich wirklich öffnen und etwas aus ihrem Leben teilen, dann wird das auch von anderen sehr gerne angenommen.“
Mitunter tragische Geschichten bekam er zu hören. Teilweise selbst filmreif, wie die von dem abgelehnten Kriegsdienstverweigerer, der dem Dienst bei der Bundeswehr mental nicht gewachsen war und bei dem Vorhaben, mittels eines vorgetäuschten Selbstmordversuchs seine Untauglichkeit unter Beweis zu stellen, tatsächlich ums Leben kam. Woran Karina Wrona auch heute noch erinnert wird, wenn sie den Dylan-Song „It’s All Over Now, Baby Blue“ in der Them-Version mit Van Morrison hört. Hier zeigt sich, wie eng persönliches Erleben und kulturelles Schaffen oft miteinander verzahnt sind.
In Kesslers Videomitschnitten sieht man nicht nur die interviewten Personen, sondern auch Szenen, die sich draußen auf dem Platz abspielen. Menschen, die vorbeigehen, spielende Kinder. Einmal sitzt der Gastgeber mit seiner Interviewpartnerin auf einer Bank. Sie erzählt, dass hier früher das Gelände der Zeche Dahlbusch verlief. Der Eingang dazu sei nicht weit entfernt in der Karl-Meyer-Straße gewesen, dort, wo heute die Sparkasse stehe. „Man sah noch, wie die Loren mit dem Koks über unser Haus hinweggefahren sind“, berichtet Monika Nowak aus ihrer Kindheit. „Dass da nie was passiert ist … Ich kann mich noch erinnern, wenn ich zur Schule gegangen bin, weiße Bluse an, und ich kam in der Mittagszeit nach Hause – die Sachen waren schwarz …“
Nicht nur bei ihr, auch bei den meisten anderen Gefilmten sind die ausgewählten Schallplatten mit Erinnerungen an Kindheit und Jugend verbunden, einer Lebensphase, deren Musikerleben den späteren Musikgeschmack oft entscheidend prägt. Fragt sich, wie ein heute 25-Jähriger dazu kommt, Musik zu mögen, die vierzig, fünfzig, sechzig Jahre alt ist, und dann noch bevorzugt auf den Originaltonträgern. „Ich bin zum Vinylhören gekommen, weil wahrscheinlich die Grundvoraussetzungen gegeben waren“, sagt Urs Kessler. Seit er anfing, mit achtzehn in einem American Diner zu kellnern, habe er die Rockmusik der Fünfziger und Siebziger schätzen gelernt – Elvis, Kansas, Lynyrd Skynyrd, Black Sabbath. Zudem ziehe ihn alles magisch an, was man sammeln kann – wie eben auch LPs. „Dann gab es vor einem Jahr einen Plattenspieler bei einem Discounter im Angebot, den musste ich einfach haben. Seitdem lege ich gerne was auf – beim Lernen, Lesen oder mit anderen, weil es superspannend ist, was die so für Platten aus dem Stapel ziehen.“
Plattenteller meets Podcast
Einer, in dessen Leben Musik ebenfalls keine kleine Rolle spielt und der genauso die Magie des Vinyls schätzt, sitzt mit in der Runde, streut immer wieder zustimmende Bemerkungen, wissende Kommentare ein. Simon Schomäcker, kurze, dunkelblonde Haare, markante Brille in Wayfarer-Form und noch markantere Stimme, macht als Schlagzeuger selbst Musik. Unter anderem in einer Jazzband, einer Rockband und einem Sinfonieorchester, die er sich aus vergangenen Kölner Zeiten erhalten hat. Auch in Gelsenkirchen ist er musikalisch aktiv, begleitet die Singer/Songwriterin Kristin Sophie, die bereits bei den Neighboring Satellites in Erscheinung getreten ist, an den Percussions. Zwar wohnt Schomäcker am entgegengesetzten, nördlichen Ende der Stadt in Scholven, hat sich aber auf den diversen kulturellen Kanälen, in denen er in seiner Wahlheimat unterwegs ist, Rotthausen mehr und mehr angenähert. Seit einigen Monaten ist er nun selbst in die Aktivitäten des Satellitenprojekts involviert.
Denn Schomäcker produziert und moderiert den projekteigenen Podcast, dessen Interviewgast Urs Kessler in einer Folge war. Darin ging es um die vergangene und gegenwärtige Geschichte des Viertels, um Bergbau, Industrie, aber auch um kulturelles Miteinander. Schomäcker wiederum war Kesslers erster Gast in der „Platten-Teller“-Reihe, zu der auch er ein Erinnerungsstück an Kindheitstage mitbrachte. „Es war ein Medley aus Folksongs, zu dem wir in der Grundschule immer getanzt haben.“ Zwanzig Jahre, nachdem er diese Musik zuletzt gehört hatte, machte er den Verlag ausfindig, bekam Kontakt zur Familie des damaligen Ausführenden, Werner Brock. Der inzwischen verstorbene frühere Schlagzeuger des WDR-Funkhausorchesters war auch Leiter eben jenes Folklore-Quartetts der Platte gewesen. Ergebnis war schließlich eine Radiosendung über Brock im Hochschulradio in Dortmund, von der dessen verbliebene Familie so begeistert war, dass sie den Moderator zu sich einlud und ihm Platten und Instrumente Brocks übergab. „Instrumente, die auf diesen alten Aufnahmen aus meiner Grundschulzeit zu hören sind.“ Und von denen er eines sogar im „Platten-Teller“-Video selbst spielt.
Ich habe Gelsenkirchen und das Ruhrgebiet ziemlich schnell als mein neues Zuhause entdeckt. Ich mag die Mentalität der Leute – die Offenheit und Direktheit –, die große Kulturszene und das Phänomen, schnell von einer Stadt in die andere fahren zu können.
Neue Heimat
Im Hauptberuf ist Simon Schomäcker Hörfunkjournalist, freiberuflich unter anderem für Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur, den WDR, aber auch nicht öffentlich-rechtliche Sender. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Technik, Bildung, Kultur, Religion, Musik. Beim Deutschlandfunk in Köln ließ er sich zum Mediengestalter Bild und Ton ausbilden, bevor ihn sein Journalismusstudium an der Westfälischen Hochschule Buer nach Gelsenkirchen verschlug. Eigentlich wollte er danach weiterziehen. „Aber ich habe Gelsenkirchen und das Ruhrgebiet ziemlich schnell als mein neues Zuhause entdeckt. Ich mag die Mentalität der Leute – die Offenheit und Direktheit –, die große Kulturszene und das Phänomen, schnell von einer Stadt in die andere fahren zu können.“
Kein Wunder daher, dass immer mehr Beiträge über die hiesige Kulturszene entstanden, über die wiederum der Projektleiter der Satellites, Christoph Lammert, auf den produktiven Medienmenschen aufmerksam wurde. Zwar stammt die Idee zum Podcast von Lammert selbst, von Anfang an aber schwebte ihm Schomäcker als Ausführender vor. „Und so hat er mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, zu moderieren“, erzählt der 35-Jährige. „Ich hatte vorher noch nie an einem Podcast mitgearbeitet, aber natürlich Moderationserfahrung. Das habe ich als neue Herausforderung gesehen. Außerdem war es für mich eine willkommene Gelegenheit, noch mehr kulturell in meinem Wohnort Gelsenkirchen zu bewirken.“
Der Podcast mit dem Titel „Homecast – Stories aus der Umlaufbahn“ ist ein beliebtes Mitteilungsinstrument von Neighboring Satellites. Das bei den bisherigen sechs Folgen auf den diversen Kanälen, in denen es veröffentlicht wird, meist schnell über zweihundert Zugriffe aufweist – im informationsüberfluteten Internet heutzutage keine schlechte Ausbeute für ein Projekt mit gezielt lokal gehaltenem Inhalt. Die Idee dazu entstand während Lockdownzeiten, um den eingeschränkten Begegnungsmöglichkeiten entgegenzuwirken, aber auch, um geplante „analoge“ Veranstaltungen vorzubereiten und zu begleiten, Künstler und Künstlerinnen, Aktive im Stadtteil oder andere Beteiligte zu Wort kommen zu lassen sowie Rotthausen selbst näher zu erkunden. Auf diese Weise entwickelte sich aus dem ursprünglich als Überbrückung gedachten Format ein Kernelement der Öffentlichkeitsarbeit des Projekts, das nun bis zu dessen Ende fortgesetzt werden soll.
Ein in seiner kontinuitätsstiftenden Eigenheit nicht zu unterschätzendes Erkennungsmerkmal des Podcasts ist die lebendige und in die Geschichten hineinziehende Erzählweise Simon Schomäckers. Die Begeisterung und Leidenschaft für seine Arbeit sind förmlich greifbar und man hört ihm interessiert zu, wenn er das Projekt als solches vorstellt, die Menschen vor Ort danach fragt, was für sie Heimat ist, oder berichtet, wie sich durch die Ansiedlung von Industrie die Einwohnerzahl des ursprünglichen 340-Seelendorfes innerhalb von hundert Jahren verhundertfachte. In der Folge „Viertel for Kunst“ trifft er nicht nur Künstlerinnen und Künstler, die hier etwas bewegen wollen, sondern geht auch der Frage auf den Grund, inwiefern für die Menschen im Stadtteil ein Kunst- und Kulturleben in der Nachbarschaft wichtig ist.
Zugute bei all dem kommt Schomäcker seine „von der Natur mitgegebene Neugier“, die ihm ein Interviewpartner einmal bescheinigte, sowie seine Lust am Spiel mit Geräuschen, Klängen und Tönen. Der gelernte Tontechniker experimentiert gerne mit Aufnahmemöglichkeiten und -orten. So hat er sich bei der Folge zum „Heimatort Küche“ selbst beim Kochen in der eigenen Küche aufgenommen – während er spricht, hört man, wie er Zwiebeln und anderes Gemüse schneidet. „Die Sprechpassagen nehme ich dann allerdings vor dem Schrank im Schlafzimmer auf“, ergänzt er. „Ich öffne die Türen und hänge eine Decke darüber, um darunter den gewünschten trockenen Klang der Stimme zu erreichen.“
Für Folge fünf, „Alles auf Grün“, setzte er sich passend zum Thema an einen kleinen Klapptisch inmitten des Grüns des Metropolengartens auf Dahlbusch. Dabei ging es um die dortigen Aktivitäten im Zusammenhang des Literaturfestivals „Nah und Fern“ sowie des Kunst- und Kulturfestivals Querbeet. Dazu stand ihm auch deren Initiator und Organisator Helmut Warnke Rede und Antwort. Der Metropolengarten liegt in unmittelbarer Nähe der Villa Dahlbusch, eines herrschaftlichen Gebäudes, in dem bis Anfang der Sechziger die Generaldirektoren der gleichnamigen Zeche lebten. Heute steht es unter Denkmalschutz und beherbergt Sozialwohnungen. Das lange verwahrlost gegenüberliegende Gartengelände brachten Rotthauser Bürgerinnen und Bürger in Eigeninitiative wieder auf Vordermann, als sie 2014 den Metropolengarten-Verein gründeten. In seinem Beitrag spricht Schomäcker von einer kleinen Oase inmitten der im Hintergrund rauschenden Hauptverkehrsachsen Am Dahlbusch und Steeler Straße, wo man zwischen Hochbeeten, Bäumen, Sträuchern und wild wachsenden Pflanzen Entspannung und Muße im Großstadttrubel finden kann.
Revue
Rückblende. Mitte Juni. Bei schwülwarmem Wetter sitzen wir vor der Trinkhalle am Flöz im Nachbarquartier Ückendorf, der „Satellitenstation“ der Neighboring Satellites, wie Schomäcker sie in seinen Podcasts gerne nennt. Sozusagen von hier aus entspann sich der Gedanke der kulturellen Satelliten in der Umlaufbahn, die dann ihren ersten Niederschlag im Nachbarstadtteil Rotthausen fanden. Hier trifft man sich aber auch gerne, um bei einem kühlen Bier, einer Limonade, einem Glas Wein Ideen weiterzuspinnen, Geschehenes Revue passieren zu lassen oder das Anliegen des Projekts an sich zu diskutieren.
„Ich finde an Neighboring Satellites gut, dass das Projekt diesen gemeinschaftlichen Aspekt hat“, diktiert Kessler Simon Schomäcker ins Mikrofon, als der ihn für die zweite Podcast-Folge interviewt. „Es ist nicht elitär, nicht hochgestochen, sondern wirklich für alle Altersklassen, … es soll interessant, spannend und einladend wirken. Das finde ich toll, denn ich glaube nicht, dass wir in Rotthausen der Gelsenkirchener Szenestadtteil werden. Aber was ich sehe, ist, dass viele verschiedene Leute neu herziehen, und wenn man dann ein kulturelles Angebot hat, bei dem man sich kennenlernen und vernetzen oder einfach auch Spaß haben kann, dann sehe ich das als totale Stärke.“ Auch Schomäcker sieht die Unternehmungen des Teams rund um Projektleiter Christoph Lammert nicht nur als Bereicherung für den Stadtteil, sondern auch für sich persönlich. „Ich finde das Projekt eine gute Gelegenheit, um Kulturräume in Rotthausen zu entdecken, mit den Einwohnerinnen und Einwohnern in Kontakt zu kommen und ihre kulturellen Vorlieben zu erfahren. Gerade durch meine Interviews lerne ich den Stadtteil und seine Bewohnerinnen und Bewohner kennen, was auch meinen eigenen Horizont erweitert.“
Dass dies tatsächlich funktioniert und Früchte trägt, zeigen eben auch gerade die Aktivitäten der beiden Gesprächspartner. „Da war diese Dame, die in der Nähe wohnt“, fällt Kessler ein. „Die ist einfach vorbeigelaufen, als ich eine Platte aufgelegt habe, um mich auf den Dreh vorzubereiten. Sie kommt immer beim Gassigehen am Küchenstudio vorbei, hat reingeschaut und den Daumen nach oben gezeigt. Da bin ich raus zu ihr, habe gesagt, wir drehen hier für Neighboring Satellites. Und sie meinte: ‚Ich hab auch noch ganz viele Platten …‘“ Sie hatte die Alltagsfiguren von Ilsebill Eckle gesehen und das „Atelier auf Zeit“ mit Ahang Nakhaei. „Sie hate auf diese Weise auch etwas über Rotthausen und die Geschichte des Stadtteils mit reingebracht.“
Sieht ganz so aus, als ob die Neighboring Satellites sich in den Monaten nach der Auftaktveranstaltung im Kolping-Haus trotz eingeschränkter Möglichkeiten während der diversen Phasen des Lockdowns im wahrsten Sinne des Wortes einen „Platz“ verschafft haben in der örtlichen Wahrnehmung. Unterstützt sicher auch durch die Plakataktion im April und mehr noch durch die „Homebase“ im Küchenstudio am Käsemann-Platz.
Nachtrag:
Der Ernst-Käsemann-Platz war am 4. September dann auch Stätte und Schauplatz eines Open Air-Konzerts. Das Kammerorchester Ensemble Ruhr + (Poetryslammerin) Tabea Farnbacher sowie die Gelsenkirchener Künstler*innen Linus Friedmann, Irene Riveros und Gerardo Gramajo hüllten mit dem Programm „Äcker des Ruhrgebiets“ den Platz und die Nachbarschaft in eine „Symbiose aus Slam Poetry und klassischer Musik“.
Uli Kolmann schrieb dazu in der WAZ: „Im Wechsel und gemeinsam beschrieben Kammerorchester und die Sprecherin den Wandel des Ruhrgebiets … Gleichwohl ließ es sich auf die Stadt und auf das Viertel im Gelsenkirchener Süden übertragen, das die Prägung durch die Zeche Dahlbusch noch heute nicht verbirgt. In eindringlichen und schnell wechselnden Bildern und Metaphern entwarf Farnbacher … den Blick auf den Bergbau und die Ruhrgebietsindustrie in der Vergangenheit und das Selbstbild einer Region als „ein(en) Klassiker“.